Plenarprotokoll 19/22
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Und täglich grüßt das Murmeltier: Nachdem die
CDU in jahrzehntelanger Verantwortung die Klimakrise ignoriert, den Ausbau der Erneuerbaren blockiert, die
Verkehrswende behindert und Klimaschutz gegen Arbeitsplätze ausgespielt hat, hat
sie noch immer nichts dazugelernt.
Aber anstatt sich mal zu fragen, ob nicht auch irgendwo die eigene Politik der letzten Jahrzehnte eine Mitverant-
wortung für die heutigen Verzweiflungstaten der Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation trägt, hört
man von Ihnen nichts anderes als Rufe nach Strafverschärfungen.
Da dies immer noch zu Missverständnissen führt, möchte ich zu Beginn wieder einmal klarstellen, wie schon in
vielen Debatten zuvor: Wenn Aktivistinnen und Aktivisten eine Blockade durchführen und diese von der Polizei
geräumt werden muss, kommt es zu Identitätsfeststellungen. Im Anschluss geht das Verfahren seinen Weg, Poli-
zei und Staatsanwaltschaft ermitteln, und wenn nötig, entscheiden Gerichte. So haben wir bisher einige rechtskräftige Verurteilungen genauso wie Freisprüche und eine ganze Reihe an Strafbefehlen. Ein Strafbefehl ist übrigens die Ahndung eines Delikts, das letztendlich so geringfügig ist, dass eine öffentliche Hauptverhandlung nicht erforderlich ist. So ist es im vergangenen Jahr immer wieder geschehen, so arbeitet und funktioniert ein Rechtsstaat.
Sie mögen mir ständig vorwerfen, ich verteidige hier die Aktivistinnen und Aktivisten. – Das tue ich mitnichten,
aber wenn ich mir Ihre Vorschläge anschaue, ist etwas nötig, und zwar, den Rechtsstaat zu verteidigen. Genau
den wollen Sie nämlich aushöhlen. Sie wollen Menschen nicht nur einsperren, wenn sie eine Straftat begangen
haben; Sie wollen Menschen vier Tage lang einsperren, weil sie möglicherweise vorhaben könnten, eine Straftat
oder auch nur eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. Merken Sie eigentlich selbst, dass Sie damit die Grundsätze
des Rechtsstaats über Bord werfen, liebe CDU?
Bei Ihrem Vorschlag schlägt sich doch jeder Verfassungspatriot die Hände vor den Kopf.
Sie definieren in Ihrem Gesetzentwurf, dass es schon reiche – ich zitiere “Werkzeuge oder sonstige Gegenstände …, die er-
sichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werdenmitzuführen;” Gleiches gilt für Begleitpersonen. Ich über-setzte an der Stelle mal für Nichtjuristinnen und -juristen:
Meinen Sie Sekundenkleber?
Ich muss schon sagen: Mit diesem Vorschlag werden Sie das Handwerk ganz schön schwer treffen. Man wird ja
gar keine Tube Sekunden Kleber mehr kaufen können, ohne dass Herr Balzer gleich die Polizei ruft; und Herr
Wansner steht wahrscheinlich bei Rewe am Kotti und meldet jeden, der Kartoffelbrei kauft.
Ein Grund für den Präventivgewahrsam soll für Sie auch sein, wenn man Flyer dabeihat, in denen zur Begehung
von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten aufgerufen wird. – Wie soll ich mir das dann vorstellen? Reicht da
schon ein Flyer mit der Aufschrift „System Change, not Climate Change“?
Womöglich sogar ein grüner Wahlkampfflyer, in dem die Wörter „radikal“ und „Klimaschutz“ vorkommen?
Liebe CDU! So viel Angst vor Bettina Jarasch als Regierender Bürgermeisterin müssen Sie nun auch nicht haben!
Wie Sie wissen – oder wissen sollten –, müssen gesetzliche Regelungen abstrakt und auf jeden Einzelfall spezifisch anwendbar sein. Wenn man sich Ihren Gesetzentwurf durchliest, dann klingt das eher nach einem Paragrafen zur politischen Verfolgung von unliebsamen politischen Protesten. So etwas hat in Gesetzen nichts verloren, und erst recht nicht im Polizeigesetz.
Wer Flyer und Demomaterial als Gefahr für die Demokratie darstellt und rechtfertigen will, Menschen ohne
Anklage ins Gefängnis zu stecken, sollte dringend seinen rechtsstaatlichen Kompass neu justieren. Herr Balzer, Sie
haben es gerade bewiesen! Stattdessen sagen Sie in Ihrer Begründung sogar selbst, dass Sie den Präventivgewahr-
sam eigentlich gern für noch viel längerer Zeit festschreiben würden – und das alles nur wegen Sekundenkleber und Kartoffelbrei.
Vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit haben Sie, glaube ich, auch noch nichts gehört.
Ich fasse also Ihren absurden Plan zusammen: Wegen potenzieller Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten, die in
der Regel zu Geldstrafen führen, legen Sie die Axt an den Rechtsstaat und wollen eine Ausweitung der Präventivhaft. Das ist, gelinde gesagt, absolut unverhältnismäßig. Deshalb wird dieser Vorschlag hier in diesem Haus
keine Mehrheit finden; zum Glück! – Vielen Dank!