Plenarprotokoll 19/23
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Situation im Berliner Rettungsdienst ist in
diesem Jahr so angespannt wie noch nie. Seit 2004 ist vor allem die Zahl der alarmierten Rettungswagen Jahr um
Jahr angestiegen. Mit über 446 000 Einsätzen im Bereich der medizinischen Gefahrenabwehr wurde im letzten Jahr
ein Höchststand erreicht. Ein Sprung um 100 000 Einsätze in acht Jahren, ohne dass die Strukturen entsprechend
mitgewachsen sind. Ich frage mich, wieso diese Signale nicht rechtzeitig gehört wurden. Warum wurde die Personalnot ignoriert? Warum wurden die Prioritäten in den letzten Jahren falsch gesetzt?
Umso wichtiger ist das heutige Bekenntnis. Wir lassen den Berliner Rettungsdienst nicht im Stich. Wir machen die Reform des Rettungsdienstgesetzes zur innenpolitischen Priorität.
Als erster Schritt soll der vorliegende Gesetzesentwurf des Senats für kurzfristige Entlastung sorgen. Es muss
uns allen aber klar sein, dass das nicht der heilige Gral ist, sondern höchstens eine kleine Lösung. Durch die
Gesamtverantwortung des Landesbranddirektors als Chef der Berliner Feuerwehr haben wir eine fehlende Klarstellung im Rettungsdienstgesetz ergänzt. Ich erwarte nun auch, dass diese Gesamtverantwortung ernst genommen wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass es gerade durch den anhaltenden Dauerausnahmezustand in der Feuerwehr knirscht. Dabei helfen Vorwürfe oder offenes Kompetenzgerangel wenig.
Es gilt dabei auch die Realität anzuerkennen, dass 90% der Einsätze im Rettungsdienst gefahren werden.
Wer glaubt, ohne medizinische Kompetenz den Rettungsdienst neu aufzustellen, der wird damit baden gehen. Der beste Plan, der Weg raus aus der Krise, wird nur gelingen, wenn sich Rettungsdienst und Feuerwehr zusammenraufen und nach vorne gerichtet gemeinsam an konstruktiven Lösungen arbeiten. Das ist mein Wunsch, das ist aber auch meine Erwartung an die gesamte Behördenleitung.
Das Gesetz gibt der Feuerwehr zudem die Möglichkeit an die Hand, mehr Rettungswagen auf die Straße zu bringen.
Dazu werden Innenverwaltung und Gesundheitsverwaltung eine Rechtsverordnung auf den Weg bringen,
die zusammen mit dieser Gesetzesänderung in Kraft treten wird. Wir wissen, dass viele der Einsätze, die derzeit gefahren werden, weder akut sind noch einer Behandlung durch eine Notärztin oder eines Notfallsanitäters bedürfen. Hier gibt es bei der Rettungsdienstakademie Planungen, Zusatzqualifizierungen für Rettungs-sanitäterinnen und -sanitär vorzunehmen. Das muss zeitnah in die Umsetzung gehen, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Gerade im Bereich der Notfallkrankentransporte kann kurzfristig Entlastung geschaffen werden.
Gleichzeitig sichert der Kompromiss zwischen der Innen- und der Gesundheitsverwaltung, dass eine gute medizinische Versorgung bei akuten Notfällen gewährleistet wird. Die Absenkung der Besetzungskriterien bei Notarzteinsatzfahrzeugen ist absolute Ultima Ratio, denn der Notfallsanitäter auf dem Notarzteinsatzfahrzeug ist nicht Chauffeur, sondern medizinischer Partner des Notarztes bei der akuten Versorgung vom Herzinfarkt bis zum Verkehrsunfall. Wer glaubt, dass eine medizinische Qualifikation mit drei Jahren Ausbildung kurzerhand durch eine von drei Monaten ersetzt werden kann, gefährdet die
Notfallversorgung. Daher danke ich ausdrücklich Frau Senatorin Gote, dass sie sichergestellt hat, dass in akuten Notfällen, also in lebensbedrohlichen Situationen jeder und jede adäquate Hilfe bekommt. Es geht nicht um Bagatelldelikte, hier
geht es um Lebensrettung.
Ich sage Ihnen aber auch: Damit ist der Rettungsdienst nicht vom Eis. Wir dürfen jetzt nicht nachlassen. Ich
hätte mir auch gewünscht, dass nach einem halben Jahr Taskforce in der Innenverwaltung wir bereits mehr auf
den Tisch hätten. Weitere kurzfristige Maßnahmen wären bereits jetzt möglich gewesen. Doch auch hier gilt: Wir
müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, um den Rettungsdienst strukturell neu aufzustellen. Dazu sind wir
bereit und haben als Fraktion ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgelegt, um den Rettungsdienst aus der Krise
zu führen und das dauerhaft. Wir brauchen eine echte Personaloffensive, die sich an den tatsächlichen Bedarfen
orientiert. Wir brauchen so viele Notfallsanitärinnen und -sanitäter wie möglich. Dazu gehört auch die Attraktivität
durch eine eigene Laufbahn Rettungsdienst, denn Aufstiegschancen gibt es bisher nur als Feuerwehrmann. Wir
müssen den Rettungsdienst aber endlich als Gesundheitsberuf verstehen.
Das Rettungsdienstgesetz braucht 2023 auch eine Generalüberholung. Ich bin sehr dankbar, dass wir bereits viel
Zuspruch für unsere Vorschläge erhalten haben. Und wenn es jetzt noch heißt: So kurzfristig geht das
alles nicht –, dann lassen Sie uns das als guten Vorsatz ins neue Jahr mitnehmen – von der Unterscheidung zwischen eilbedürftigen und nicht eilbedürftigen Einsätzen, damit der RTW nicht ständig durch die ganze Stadt fahren muss, über die Stärkung von Telenotärztinnen bis zur Verzahnung der verschiedenen Akteure im Gesundheitssystem, damit jede Patientin da landet, wo ihr am besten geholfen werden kann. Wir werden nämlich keine Probleme lösen können, indem jeder Akteur versucht, seine Probleme bei den anderen vor die Tür zu legen.
Von über 140 RTWs, die jetzt eigentlich täglich auf den Berliner Straßen unterwegs sein sollten, sind zeitweise
nur zwischen 100 und 120 im Einsatz. Da müssen alle Alarmglocken schrillen. Der Rechnungshof hat die Dramatik der Lage auf den Punkt gebracht – ich zitiere –:
Die Berliner Feuerwehr kann das vorgegebene Schutzziel nicht annähernd einhalten.
Nun fallen aber auch 1 000 neue Stellen nicht einfach vom Himmel. Wir stehen hier vor einer Mammutaufgabe,
um die Versäumnisse des letzten Jahrzehnts beim Personal wieder wettzumachen. Umso erstaunlicher, nein,
umso peinlicher ist das Spiel der Opposition an dieser Stelle. Sie haben jetzt eigene Gesetzentwürfe eingebracht
– wobei, eigene Entwürfe sind das ja nicht, sondern schlecht gemachte Plagiate des ursprünglichen SPD-
Entwurfs. Sie verzeihen mir, dass ich das nicht ernst nehmen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei der Notfallversorgung geht es oft um Leben und Tod, das haben wir gerade erst wieder in Lankwitz gesehen.
Zwei Jugendliche wurden von einem Bus überfahren, eine 15-Jährige verlor ihr Leben. Mein Beileid gilt den
Angehörigen. Dass zum Zeitpunkt der Alarmierung keine Rettungswagen zur Verfügung standen, zeigt, wie groß
die Not ist. Ein Notarzteinsatzfahrzeug war frühzeitig zuerst am Einsatzort, und das zeigt doch, dass wir gerade
hier nicht die Besetzungskriterien herabsetzen sollten.
Dieser Einsatz zeigt aber vor allem, unter welchen Bedingungen alle Einsatzkräfte in Rettungsdienst, Hilfsorganisationen und Feuerwehr jeden Tag Herausragendes leisten. Sie retten, was sie retten können, und das unter extremer psychischer und körperlicher Belastung. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank. Dafür gebührt ihnen aber auch unser Versprechen, unseren Job zu machen, und zwar so, damit die Rettungskräfte den ihren machen können. – Vielen Dank!