In meiner Rede zum Polizeigesetz decke ich die Symbolpolitik des Senats auf: marode Polizeiwachen, Millionen an Überstunden und leere Versprechen – das alles statt echter Sicherheit. Während die Regierung auf Überwachung, grenzenloser KI-Einsatz und Repression setzt, bleiben die soziale Sicherheit und Prävention auf der Strecke. Zahlreiche Studien zeigen schon längst: Videoüberwachung verhindert keine Straftaten. Die Verschärfung von Polizeigesetzen hat in den letzten Jahren nicht für mehr Sicherheit gesorgt. Ganz im Gegenteil sehen wir, dass vor allem autoritäre Regierungen, im Namen der Sicherheit die Freiheit angreifen. Wer Sicherheit mit Kontrolle verwechselt, riskiert die Freiheit, die es zu schützen gilt.
Plenarprotokoll 19/69
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ein sicheres Berlin war das große Versprechen der schwarz-roten Koalition. Heute werden Sie hier von dieser Koalition Lobeshymnen auf die große Polizeigesetznovelle hören. Doch 736 Seiten machen ein Gesetz noch lange nicht zum großen Wurf.
In Ihren 736 Seiten verstecken sich viele neue Befugnisse, aber eben auch viele neue Aufgaben. Erst am Montag hatten wir die Gewerkschaftsvertreter im Innenausschuss. Die Aufgabenlast und Belastung der Polizistinnen und Polizisten auf Berlins Straßen ist so hoch wie nie.
Da hilft auch kein Polizeigesetz, wenn der Putz in den Wachen von der Decke fällt, wenn Sie beten müssen, dass die Duschen morgen noch funktionieren, oder mit Autos unterwegs sind, die Sie selbst bei Verkehrskontrollen aus dem Ver kehr ziehen würden.
3 Millionen Überstunden, eine Pensionierungswelle in vollem Gange, und auch der Nach wuchs wächst bekanntlich nicht auf Bäumen. Trotzdem wird auch unter dieser Koalition bei jeder Gelegenheit aufgefahren, ohne Rücksicht auf Verluste. Massen an Polizisten werden für Kontrollen in schlicht ineffektiven und unnützen Messerverbotszonen verheizt, und das, obwohl es wirklich genug zu tun gäbe.
Ich sage es einmal etwas unverblümt: Bevor man von neuen Befugnissen träumt, sollte man erst einmal die Basics auf die Straße bekommen. Statt sich hier abzufeiern – der Kollege Dregger ist gleich an der Reihe – täten wir alle gut daran, die Alltagsnöte von Polizistinnen und Polizisten in Berlin mehr in den Blick zu nehmen.
Wir werden diesen Gesetzentwurf in den Beratungen natürlich auf Herz und Nieren prüfen. Es stimmt, dass es sicher auch berechtigte Gründe gibt, das Gesetz anzupacken. Deshalb will ich zumindest eine Sache hier auch positiv erwähnen. Sie haben die Ausweitung der Wegweisungsdauer, die Fallkonferenzen und das Kontakt- und Näherungsverbot in Fällen häuslicher Gewalt aufgenommen. Das halte ich nicht nur für richtig, ich halte es für überfällig.
Es freut mich dabei übrigens, dass Sie fast wortwörtlich einen Gesetzentwurf von uns kopiert haben, aber auch das kann ja nicht schaden. Der Gewaltschutz, die Sicherheit von Frauen, verdient eine höhere Priorität.
Doch leider liest sich Ihr Gesetzentwurf in großen Teilen wie ein Wunschzettel für einen Überwachungsstaat: Videoüberwachung, Quellen-TKÜ, Onlinedurchsuchung und ganz viel künstliche Intelligenz – all das im Namen der Sicherheit, ohne dass Sie damit mehr Sicherheit schaffen werden.
Nehmen wir die Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten. Da gibt es inzwischen unzählige Studien und alle kommen zu dem gleichen Ergebnis: Videoüberwachung verhindert keine Straftaten. Kameras ersetzen keine Einsatzkräfte. – Was soll das dann für Ihre Kameraträume eigentlich kosten? Am Görli kommen Sie schnell in zweistellige Millionenbereiche, und das alles, damit Sie dann mit der Kamera auf dem Zaun Crackabhängige beim Konsum filmen können. Meine Güte, das hilft doch wirklich niemandem! Sie sagen zwar ständig: An der Sicherheit wird nicht gespart. – Am Ende sparen Sie aber genau für Ihre aktionistische Symbolpolitik die soziale Infrastruktur in der Stadt kaputt, und damit sparen Sie am Ende an der Sicherheit. Das ist das fatale Sicherheitsverständnis des Wegner-Senats.
Sicherheit durch Technik versprechen Sie sich mit Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung, doch diese Technik ist nichts anderes als das staatliche Einhacken in Handys und Laptops. Damit man das kann, braucht es Sicherheitslücken, und Sicherheitslücken in technischen Systemen stehen eben nicht nur der Polizei zur Verfügung, sondern auch Kriminellen – und kriminellen Staaten. In einer Zeit hybrider Bedrohungen sind Schutzlücken im digitalen Raum nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Sie sind ein konkretes Sicherheitsrisiko für alle, die Apple, Android, Microsoft nutzen, also für Sie, für mich, aber auch für Polizei, Feuerwehr und alle Behörden in dieser Stadt.
Darüber hinaus normieren Sie dann auch noch den Einsatz künstlicher Intelligenz und die automatisierte Datenanalyse. Ohne Zweifel wird KI auch bei der Polizei in Zukunft zur Anwendung kommen.
Bei Alltagsaufgaben, vom Dolmetschen bis zur Unterstützung bei der Schreibarbeit oder auch der Massendatenauswertung, kann KI Polizeiarbeit erleichtern, effizienter machen. Stattdessen schaffen Sie aber eine Rechtsgrundlage für eine Datenanalyse, die bis zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen reicht. Glauben Sie denn wirklich, alles und jeder wird zur Gefahr, die man nur früh genug erkennen muss? Für mich klingt das weniger nach Polizeigesetz, sondern mehr nach „Minority Report“, und ich sage Ihnen ehrlich: Ich möchte das nicht.
Was ist also – Herr Matz, Herr Dregger – ein gutes und modernes Polizeigesetz?
Fakt ist: Wir leben in unsicheren Zeiten. Wir sehen eine Zunahme objektiver Bedrohungen. Hybride Gefahren sind längst Realität. Nicht zuletzt: Unsere Demokratie ist in Gefahr.
Ein Teil dieses Hauses glaubt, ein gutes Polizeigesetz entsteht durch die Masse an weitgehenden Befugnissen, indem man an die Grenzen von dem geht, was das Bundesverfassungsgericht erlaubt, und ja, auch manchmal darüber hinaus.
Die Antwort war in den vergangenen Jahren in vielen Bundesländern die Verschärfung von Polizeigesetzen. Hat das aber wirklich für mehr Sicherheit gesorgt?
Gerade das Erstarken autoritärer Kräfte weltweit führt uns doch vor Augen: Ohne Freiheit gibt es am Ende keine Sicherheit, und wer die Freiheit im Namen der Sicherheit ein ums andere Mal riskiert, wird am Ende beides verlieren. Diesen Weg sollten wir als Gesetzgeber nicht einschlagen, damit wir in Berlin, der Stadt der Freiheit, auch in Zukunft sicher, frei und selbstbestimmt leben können. -Vielen Dank!
