In meiner Rede zum Polizeigesetz warne ich davor, dass CDU und SPD mit Videoüberwachung, Luftaufnahmen, Staatstrojaner, Onlinedurchsuchungen und biometrische Internetscans Tür und Tor für einen Überwachungsstaat öffnen.
Bereits in den Sachverständigenanhörungen wurden verfassungsrechtliche und praktische Probleme bei der Schaffung von zahlreichen Befugnissen geäußert, die tief in die Grundrechte – auch von Unbeteiligten eingreifen. Ich kritisiere den schwarz-roten Senat dafür immer mehr Straftaten mit Terrorismus gleichzusetzen. Mit dem neuen Gesetz kann schlimmstenfalls jede und jeder zur Gefahr gemacht werden und selbst als Kontakt- und Begleitperson auf Schritt und Tritt überwacht werden. Statt Sicherheit zu schaffen, werden Sicherheitslücken offen gehalten, die Kriminelle oder kriminelle Staaten ausnutzen können.
Als Grüne Fraktion erwägen wir eine verfassungsgerichtliche Überprüfung. Doch schon heute ist klar: Dieser Entwurf ist alles, aber kein gutes Polizeigesetz.
Plenarprotokoll 19/76
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die schwarz-rote Koalition verspricht mehr Sicherheit für Berlin, doch was Sie liefern, ist mehr Überwachung für Berlin. Wer auf immer mehr Überwachung setzt, macht sich sicherheitspolitisch nicht auf den Weg in die Zukunft, sondern direkt zurück ins Jahr 1984 zu Orwell.
Videoüberwachung, Luftaufnahmen, Staatstrojaner, Onlinedurchsuchungen, biometrische Internetscans – nicht in Echtzeit, aber eben schon sofort danach – und ein Freifahrtschein für Palantir: Mit diesem neuen Polizeigesetz öffnen CDU und SPD ein Einfallstor für einen Überwachungsstaat. Sie argumentieren mit terroristischen Bedrohungslagen, die es erfordern, Freiheit einzuschränken, um Sicherheit zu gewährleisten.
Sie haben ja recht, dass es sowohl konkrete als auch abstrakte Bedrohungslagen gibt, Sie haben aber unrecht, wenn Sie im Namen der Sicherheit jeden Menschen in Berlin zur Gefahrenquelle erklären.
Vielleicht, liebe Koalition, wollen Sie das nicht einmal, aber Sie machen es, indem Sie die Gefahrenabwehr schon dann betreiben, wenn durch Personen noch gar keine Gefahr ausgeht. Wenn es schon reicht, Kontakt- und Begleitperson zu sein, um von Sicherheitsbehörden auf Schritt und Tritt überwacht oder mit dem biometrischen Internetscan erfasst zu werden. Und das eben nicht nur bei dem Verdacht auf terroristische Straftaten, sondern auch bei Betrug, Hehlerei oder Urkundenfälschung.
Natürlich müssen wir Straftaten bekämpfen, natürlich müssen wir Gefahren vorbeugen. Wer stattdessen immer mehr Straftatbestände mit Terrorismus gleichsetzt und Befugnisse mit abstrakten Bedrohungslagen rechtfertigt, der legt die Axt an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, der verabschiedet sich vom Rechtsstaat.
Ich persönlich verwehre mich keiner Überarbeitung des Polizeigesetzes. Bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt braucht es mehr Befugnisse. Und natürlich müssen wir auch über Datenbanken, Datenanalyse und künstliche Intelligenz sprechen.
Aber ich verwehre mich einem Gesetzentwurf, der weit über das Ziel hinausschießt, unkonkret bleibt, wo er konkret sein müsste und es nicht schafft, einer elementaren Verpflichtung aus unserem Grundgesetz nachzukommen, nämlich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes vor einem übergriffigen Staat zu schützen.
Wir haben in den letzten Monaten unsere Kritik vorgebracht, die Sachverständigen in den Anhörungen haben Sie gewarnt, die Datenschutzbeauftragte hat Ihnen fundiert die Probleme vorgetragen.
Und was machen Sie? – Sie setzen Millionen in Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen und Parks, auch wenn die Studienlage zeigt, dass die Stadt damit nicht sicherer wird. Dafür wollen Sie obendrauf noch fehleranfällige Technologie verwenden, die nicht mal zuverlässig Schläge von Umarmungen unterscheiden kann. Das schafft doch nicht mehr Sicherheit, höchstens mehr Fehleinsätze für die Polizei.
Sie greifen tief in die innenpolitische Mottenkiste mit dem Einhacken in Handys und Laptops. Sie nehmen ganz bewusst Sicherheitslücken in Kauf, und zwar auf allen Geräten, auch auf meinen und auf Ihren, und Sie ignorieren, dass diese Sicherheitslücken eben nicht nur von der Polizei genutzt werden können, sondern auch von Kriminellen und kriminellen Staaten.
Wie weit wollen wir denn eigentlich die Türen öffnen für ausländische Geheimdienste, Cyberkriminelle und Militärs, gerade in diesen Zeiten? Das ist doch das Gegenteil von sicherheitspolitischer Vernunft.
Sie wollen KI in der Polizei. Das will ich auch, beim Dolmetschen, bei der Schreibarbeit, für Lagebilder, aber auch Technologie braucht ethische, moralische und praktische Grenzen, doch Sie setzen diese Grenzen nicht. Von automatisierter Datenanalyse über biometrische Gesichtsabgleiche bis hin zur Möglichkeit der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen eröffnen Sie Möglichkeiten, die ein hohes Missbrauchspotenzial haben.
Wir wissen selbst nach diesen Gesetzesberatungen nicht einmal, was genau kommen soll. Am Ende könnte also eine Megasuperdatenbank der Polizei stehen, und wir hier als Gesetzgeber wissen nicht einmal, welche Daten zu welchem Zweck mit welchem Ziel zusammengeführt werden sollen. Obendrauf verzichten Sie einfach mal bis 2031 darauf, diese Datensätze zu kennzeichnen, obwohl Sie diese Kennzeichnung brauchen, um überhaupt zu wissen, ob Sie die Daten verwenden können oder eben nicht.
Ganz ehrlich, mich überzeugt das nicht. Mir macht das eher Angst.
Von einem Überwachungsstaat sind wir zum Glück noch weit entfernt. Bei aller von mir geübten Kritik an diesem Gesetzentwurf weiß ich, dass weder CDU noch SPD bis an die Grenze des technisch Möglichen, der maximalen Überwachung gehen würden.
Doch das Problem ist, dass allein das Recht definiert, wo diese Grenze verläuft. Mit diesem Gesetz sorgen Sie dafür, dass diese Grenze nur noch einen Klick vom Überwachungsstaat entfernt ist.
Deshalb frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und der SPD, wollen Sie Ihre Hand für ein Gesetz heben, das einem Missbrauch Tür und Tor öffnet, erst recht, wenn die falschen Kräfte an die Macht kommen sollten?
Gerade in diesen Zeiten, in denen autoritäre Kräfte auf der ganzen Welt im Namen der Sicherheit, Freiheit und Demokratie angreifen, sollten wir als Gesetzgeber besonders wachsam sein.
Wir als Grünenfraktion werden deshalb gegen das Gesetz stimmen und bezüglich der kritischen Norm eine verfassungsgerichtliche Überprüfung erwägen, nachdem wir eine fundierte juristische Prüfung vorgenommen haben.
Zeit, die Sie sich übrigens nicht genommen haben, aber gebraucht hätten; Zeit, die Sie uns auch in den Beratungen nicht gegeben haben.
Und wenn Ihnen am Ende dieses Prozesses die Datenschutzbeauftragte zu Ihrem letzten Änderungsantrag, der mehr Verschärfung als Korrektur vorsieht, das Prädikat „unklar“ oder „genügt nicht verfassungsgerichtlichen Anforderungen“ verleiht, dann müssen Sie sich am Ende auch nicht wundern, wenn Ihnen auch ein Verfassungsgericht das später um die Ohren hauen sollte.
Eines zumindest ist heute schon sicher: Das, was wir heute beschließen, ist alles, aber kein gutes Polizeigesetz.
– Vielen Dank!
