Rede zum Umgang mit antisemitischen Drohungen und roten Dreiecken

Plenarprotokoll 19/51

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In den vergangenen Wochen haben wir immer wieder gesehen, dass rote Dreiecke an verschiedenen Orten in der Stadt angebracht wurden, ob an jüdischen
oder linken Einrichtungen, Universitäten oder gegen Einzelpersonen wie Julia von Blumenthal oder auch Kai Wegner. Das waren klare Drohungen. Allen Betroffenen gilt unsere uneingeschränkte Solidarität. Wir lassen uns nicht einschüchtern!

Das rote Dreieck ist verwoben mit der deutschen Geschichte. Es war das Zeichen, mit dem das NS-Regime politisch Verfolgte kennzeichnete und brandmarkte. Deshalb ist es besonders erschütternd, wenn dieses Symbol von der Hamas in Israel genutzt wird, und genauso ist es in Berlin inakzeptabel. Das Verbot von Hamas und Samidoun durch die Bundesinnenministerin Faeser war richtig und überfällig. Genauso richtig ist es, einzuschreiten, wenn das rote Dreieck an Wänden der Humboldt-Universität, an Häuserwänden oder bei propalästinensischen Demonstrationen zur Bedrohung und Einschüchterung verwendet wird. Da darf es kein Wegsehen geben.
Das ist politische Brandstiftung, das sind Straftaten; sie gehören verfolgt und werden schon heute verfolgt. Da darf es keinen Zweifel geben. Wenn bei einer propalästinensischen Demo die Gefahr der Terrorverherrlichung zu befürchten ist, kann schon heute das rote Dreieck durch die Versammlungsbehörde untersagt werden, und das sollte es auch.
Für polizeiliches Eingreifen und eine strafrechtliche Verurteilung ist und bleibt am Ende der Kontext entscheidend. Das ist leider der Punkt, Herr Dregger, an dem Sie mit Ihrem Antrag über das Ziel hinausschießen. Ihre Forderung zur Aufnahme des roten Dreiecks in die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums schafft leider keine rechtliche Klarheit.

Das hätte Ihnen auch die Rechtsprechung der vergangenen Wochen und Monate klarmachen können oder eigentlich klarmachen müssen. Ob bei der Parole „From the River to the Sea“ oder auch beim roten Dreieck: Der Kontext ist entscheidend, das ist die Quintessenz dessen, was deutsche Gerichte sagen. Pauschale Verbote sind weder von der Versammlungsfreiheit noch von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Das heißt nicht, dass man das gutheißen muss. Man kann es sogar verurteilen, aber man darf es nicht pauschal verbieten, das sagte zuletzt selbst der Bayerische Verwaltungsgerichtshof. Ich mache es mal konkret: Sowohl die unerträgliche Parole als auch das rote Dreieck werden von der Hamas benutzt. Diese Symbole können auch in Deutschland zur Terrorverherrlichung missbraucht werden, und in diesen Fällen muss der Rechtsstaat eingreifen, und er kann es auch. Ganz anders verhält es sich jedoch beim roten Dreieck in der Fahne der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, das Symbol der damals Markierten und Gejagten. Verfolgte des Naziregimes aufgrund der Verwendung dieses Symbols mit Hamas-Terroristen gleichzusetzen, kann keine gewünschte Rechtsfolge sein.

Es ist unbestritten: Die Hamas ist eine Terrororganisation. Ihr feiger Angriff auf Israel und unschuldige Jüdinnen und Juden hat unermessliches Leid zur Folge für Israelis und Palästinenserinnen und Palästinenser. All das bewegt auch unsere Stadt zutiefst. Wir müssen Gewalt, Bedrohungen und Terrorverherrlichung Einhalt gebieten. Liebe Koalition! Ich verstehe, dass Sie ein Zeichen setzen wollen. Doch auch eilbedürftige Anträge sollten nicht nur schnell, sondern auch zielführend sein. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht, das wissen Sie bereits aus der Debatte um die Antisemitismusklausel.
Vizepräsident Dennis Buchner:
Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Matz aus der SPD-Fraktion zulassen würden.
Vasili Franco (GRÜNE):
Sehr gerne!
Martin Matz (SPD):
Schönen Dank! – Herr Kollege, ist Ihnen bewusst, dass wir mit dem Antrag, den wir hier vorlegen, die Kontextualisierung des roten Dreiecks auch gerade erst herstellen wollen und dass es deswegen hilfreich wäre, wenn man das Betätigungsverbot an der Stelle ergänzt oder durch einen Auslegungshinweis des Bundes klarer macht, in welchem Kontext es eben tatsächlich verboten sein soll?
Vasili Franco (GRÜNE):
Vielen Dank, lieber Herr Matz! – Wie gesagt, ich verstehe die Zielrichtung Ihres Antrags, und ich bin auch voll bei Ihnen, dass wir dieses Zeichen auf propalästinensischen Demos nicht dulden wollen und nicht dulden werden. Es ist eine Einschüchterung. Es macht Jüdinnen und Juden Angst, da gibt es ja auch nichts zu leugnen. Die Frage, ob die Aufnahme in das Verbot des Bundesinnenministeriums zielführend ist, stellt sich. Die stellt sich ja auch bereits bei den benannten Parolen wie „From the
River to the Sea“, und da können Sie doch nicht einfach die Rechtsprechung ausblenden, die es bisher gibt und die sagt, in jedem Fall muss die Kontextualisierung da sein. Was passiert, wenn Sie das nun in die Verbotsverfügung mit hineinnehmen würden? – Überall, wo ein rotes Dreieck ist, erst mal unabhängig vom Kontext, muss ein Strafverfahren eingeleitet werden.
[Martin Matz (SPD): Nein!]
– Doch, genau das ist die Folge. Dann müssen Gerichte darüber entscheiden, und sie werden natürlich entscheiden, dass es nur dann strafbar ist, wenn auch eine Terrorverherrlichung vorliegt. Aber die Billigung von Straftaten, Bedrohung, Einschüchterung, das sind alles bestehende Straftatbestände, und wenn das rote Dreieck so gemeint ist, wenn es als Symbol der Hamas verwendet wird, dann ist es strafbar, das ist es schon heute, und es sollte auch verfolgt werden. Die Rechtsgrundlagen, die wir haben, das Strafrecht, reichen hier aus meiner Sicht bereits aus.
Vizepräsident Dennis Buchner:
Herr Kollege! Dann darf ich Sie fragen, ob Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Dregger aus der CDUFraktion auch zulassen möchten.
Vasili Franco (GRÜNE):
Auch gerne, Herr Dregger!
Burkard Dregger (CDU):
Vielen Dank, Herr Kollege! Vielen Dank, Herr Präsident!
– Die von Ihnen angemahnte Kontextualisierung ist explizit im Antragstext enthalten. Ich verstehe gar nicht, was Sie kritisieren; das sieht aus wie das Suchen nach dem Haar in der Suppe.
Vizepräsident Dennis Buchner:
Herr Kollege, Sie müssten eine Frage stellen!
Burkard Dregger (CDU):
Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Darf ich Sie noch mal
fragen, wo das Problem einer mangelhaften Kontextualisierung liegt, wenn explizit im Antrag genau das beschrieben wird?
Vasili Franco (GRÜNE):
Lieber Herr Kollege Dregger! Ich habe gerade versucht, es Ihnen noch mal zu erklären. Mir scheint wirklich, dass Sie die gesamte Rechtsprechung der letzten Wochen und Monate auch zu den Versammlungsgeschehen nicht wahrgenommen haben. Es wäre doch alles kein Problem, wenn man sagen würde, das sind ganz klar und eindeutig immer, zu jeder Zeit erkennbare Symbole der Hamas. Es gibt Situationen, in denen das so ist, und wenn die Strafverfolgenden dann auch entsprechend diesen Kontext
herstellen und den in ihrer Begründung aufführen, dann kann man diese Straftaten auch verfolgen. Eine Aufnahme in die Verbotsverfügung allein löst doch kein einziges Problem. Ich halte sie an dieser Stelle auch eher für problematisch, da sie für weitere Rechtsfragen sorgt, die am Schluss bei Staatsanwaltschaft und Gerichten landen und vielleicht auch gar nicht den Blick schärfen, genau diejenigen zu erwischen, die diese Symbole nutzen, um Menschen einzuschüchtern.
Wir wissen alle, wir haben eine sehr große Herausforderung mit der aktuellen Situation. Es ist auch nicht einfach für Polizei und Staatsanwaltschaften, immer einzuschreiten und da zu sein. Wir müssen sie dabei unterstützen, dass sie konsequent und gezielt genau die Brandstifter in unserer Stadt verfolgen und zur Rechenschaft ziehen. Ich glaube, das ist auch mit geltendem Recht möglich. Die Aufnahme in die Verbotsverfügung hat juristische Kritik, die kommt nicht nur von mir. Da hätten Sie, wie gesagt,
auch die Rechtsprechung besser studieren sollen. Vielleicht wären Sie dann zu einem anderen Ergebnis gekommen. Dass wir handeln müssen, auch bei Versammlungen, bei konkreten Vorfällen, da sind wir uns doch einig, lieber Kollege!
Wir werden uns daher diesem Antrag nicht verschließen, aber wir werden ihm auch nicht zustimmen. Wir werden
uns enthalten, denn es braucht eben mehr als einen so schnellen, halbgaren Antrag. Ich hätte mir tatsächlich gewünscht, dass Sie sich in den letzten Wochen im Kampf gegen Antisemitismus auch darum gekümmert hätten, die bereits versprochenen 20 Millionen Euro zur Antisemitismusprävention und -bekämpfung, zur Demokratieförderung und für jüdische Gemeinden und Projekte endlich freizugeben. Sie haben das den Projekten versprochen, Sie haben das auch der jüdischen Community versprochen.
Bitte machen Sie das, das ist meine Bitte für heute, zu Ihrer Priorität in der Sommerpause! Denn all jene Projekte und Einrichtungen, die seit dem 7. Oktober unermüdlich Schulungen, Beratungen, Bildungsarbeit und Tausende Überstunden leisten, sind am Limit. Sie leisten vollen Einsatz für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Vizepräsident Dennis Buchner:
Herr Kollege! Sie müssten jetzt bitte zum Schluss kommen.
Vasili Franco (GRÜNE):
Sie schaffen Räume für Dialog und Versöhnung. Sie wirken Radikalisierung entgegen. Und sie brauchen unsere Unterstützung. Das wäre die dringlichste Priorität aus meiner Sicht. Bitte kommen Sie ins Machen! – Vielen Dank!