Rede zur Rettungsdienst-Reform

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist die letzte Stunde vor der Wahlwiederholung, und Sie von der CDU sind wie der eine Schüler der sich eine Woche vor den Zeugnissen das erste Mal im Jahr meldet und dann auch noch die Hausaufgaben gemacht hat, damit die Lehrerin nicht sagt, er hätte nicht mitgearbeitet. Bei der ersten Änderung des Rettungsdienstgesetzes haben Sie eigentlich nur von der SPD abgeschrieben. Im Innenausschuss kam kein einziger Änderungsantrag zum Haushalt, und Herr Wegner will die Probleme beim Namen nennen, indem er Vornamen recherchiert. Das mag vielleicht für den Stammtisch reichen, für die Herausforderungen im Gesundheitswesen und im Rettungsdienst reicht es nicht.
In Ihrem heutigen Antrag stehen zugegebenermaßen viele unstrittige Punkte: Digitalisierung, bessere Ausstattung
von Rettungsdienst, Rettungsstellen und Kassenärztlicher Vereinigung, die Einbindung von Krankentransportunternehmen und niedergelassenen Ärztinnen. Vieles davon haben wir Grüne übrigens bereits in unserem Gesetzentwurf im November 2022 vorgelegt. Vielleicht können wir uns ja darauf einigen, dass auch dieser Entwurf eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen ist.
Es ist für mich die erste Legislaturperiode, aber wenn man sich mal die Entwicklung der letzten Jahrzehnte anschaut, hätte man vieles von dem, was hier kritisiert wird, auch erahnen können. Seit 2004 steigen die Einsatzzahlen beim Rettungsdienst. Das war den Innensenatoren Körting, Henkel und Geisel aber nicht ganz so wichtig, trotz eindringlicher Warnungen aus der Behörde,
und nun stehen wir tatsächlich auch vor einem Scherbenhaufen zulasten der Beschäftigten und auf Kosten der
guten Gesundheitsversorgung der Berlinerinnen. Zur Ehrlichkeit gehört auch dazu: Wir werden einen langen Atem brauchen. Wir brauchen einen gut und klar strukturierten Fahrplan, um den Rettungsdienst aus der Krise zu führen. Genauso sollte spätestens nach dieser Pandemie klar sein, dass wir das lange vernachlässigte Gesundheitssystem nicht sparsam, sondern resilient aufstellen müssen.
Da hilft es dann auch nicht, die Probleme des Rettungsdienstes bei der KV abzuladen oder Überbietungswettbewerbe um das knappe Personal zu führen. Wir müssen die Gesundheitsversorgung in Berlin als Ganzes in den Blick nehmen, damit eben jede Patientin da landet, wo man ihr am besten helfen kann.

Vizepräsidentin Dr. Bahar Haghanipour:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Herrmann
der CDU-Fraktion?
Vasili Franco (GRÜNE):
Ja, Herr Herrmann! Bitte!
Vizepräsidentin Dr. Bahar Haghanipour:
Bitte schön!

Alexander Herrmann (CDU):
Vielen Dank, Herr Franco! Warum hat denn dann, wenn das alles so wichtig und toll ist, wie Sie und auch Ihre
Vorredner jetzt betonen, die Grünen-Fraktion die im Innenausschuss vereinbarte Anhörung im Gesundheitsausschuss innerhalb der Koalition bisher blockiert? Woran klemmt’s denn da?

Vasili Franco (GRÜNE):
Lieber Herr Herrmann! Wir hatten direkt in der ersten Sitzung nach der Sommerpause im September 2022 eine umfangreiche Anhörung zum Rettungsdienst im Innenausschuss. Da sind noch ganz schön viele Sachen offen, die wir überhaupt noch angehen müssen. Und Sie brauchen gar nicht so zu tun, als wäre das alles im Gesundheitsausschuss kein Thema gewesen. Die Rettungsstellen sind dort dauerhaft ein Thema. Wir wissen um die Personalnöte. Wir wissen um die Belastungen.
Wir wissen, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort leisten, aber natürlich werden wir diese Probleme nicht von heute auf morgen lösen. Tun Sie aber hier doch nicht so, als würde mit Anhörungen gleich die ganze Welt besser werden. Kommen Sie lieber mal mit vernünftigen Anträgen, kommen Sie mit konkreten Vorschlägen und nicht einfach nur mit Problembeschreibungen, die allen hier im Raum bekannt sind!

Wir müssen endlich alle an einen Tisch bringen. Diesen Satz, lieber Herr Hermann, habe ich übrigens schon in der Rettungsdienstdebatte im Dezember gesagt. Schön, dass sich die CDU-Fraktion dieser Forderung nun
anschließt.
Aber Ironie beiseite! Es gab auch Probleme in den letzten Monaten – zu viel Gegeneinander, zu wenig Miteinander, Blockadevorwürfe, Unzuständigkeitstheater, viele Ankündigungen. Natürlich kann ich verstehen, dass das Frust auslöst. Ich möchte an dieser Stelle aber auch eine Lanze brechen, nicht nur für die lauten Stimmen, sondern gerade für die leisen, für die, die jeden Tag vollen Einsatz für Berlin leisten, für all die Pflegerinnen und Pfleger, für all die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, für all die Ärztinnen und Ärzte, für all die Notärztinnen und Notärzte, für die Notfall- und Rettungssanitäterinnen und -sanitäter. Sie halten den Laden am Laufen, und sie haben mehr verdient als nur ein Danke.
Daran arbeiten wir übrigens, auch nicht ohne Erfolge. Wir investieren in neue Stützpunkte, in integrierte Gesundheitszentren. Wir nehmen 570 Millionen Euro für die Berliner Krankenhäuser in die Hand. Der Berliner Rettungsdienst hat sich in den letzten Jahren qualitativ bundesweit vom Schlusslicht zum Musterschüler entwickelt. Auch die Berliner KV übernimmt mittlerweile fünfmal so viele Einsätze wie in anderen Bundesländern. Wir stellen hier die Weichen für die Zukunft. Aber natürlich steht noch einiges ins Haus. Für den Rettungsdienst braucht es eine echte Personaloffensive. Das wird nicht ohne eine eigene Laufbahn Rettungsdienst klappen; die Aufstiegschancen gibt es in der Behörde nur als Feuerwehrmann. Wir müssen den Rettungsdienst als Gesundheitsberuf verstehen, und wir müssen die Potenziale nutzen. Auch eine Frauenquote von unter 3 Prozent bei der Berliner Feuerwehr ist im 21. Jahrhundert nicht das Ziel, das wir uns eigentlich setzen.
Unser Anspruch muss sein, die Belastungen von Rettungsdienst und Rettungsstellen zu senken, Qualität und Versorgung zu sichern, aber genauso das Versprechen: Wir lassen niemanden zurück.
Wer die 112 ruft, muss sich darauf verlassen können, dass Hilfe kommt. Dabei hilft es wenig, den Menschen zu
erzählen, dass sie doch keine Notfälle seien, wenn wir es nicht schaffen, ihnen die Fähigkeiten an die Hand zu geben, sich auch selbst helfen zu können. Wir können diese Aufgabe bewältigen, dessen bin ich mir sicher, wenn wir alle Akteurinnen und Akteure im Gesundheitssystem besser miteinander verzahnen. Ich sage es mal so: Mehr Miteinander wagen. Das wäre ein guter
Vorsatz. Fangen wir doch spätestens ab Sonntag bitte damit an. – Vielen Dank!