Rede zu Folgen aus der Silvesternacht

Plenarprotokoll 19/24

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits seit dem ersten Tag nach der diesjährigen
Silvesternacht wussten es alle besser: “Die Migranten waren es.” – Der Start ins neue Jahr war an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Es ist 2023, und weder hat Deutschland das Böllern noch seinen Rassismus überwunden.
Allen voran die CDU. „Taten statt Worte“ lautet Ihr Antrag, und Sie fragen erst mal nach den Vornamen der Deutschen, um “passgenaue Antworten” zu finden. Lieber Kai Wegner, Sie sind mir bis heute ein paar Antworten schuldig! Welche kriminologischen Erkenntnisse schließen Sie aus Vornamen? Ist Ali gefährlicher als Adolf? Warum sind eigentlich in der CDU-Fraktion drei Christians? Meine Güte, was sind denn bei Ihnen für Hobbydetektive unterwegs? Mit Rechtsstaatlichkeit hat das zumindest nichts zu tun.

Dass Sie sich dafür nicht schämen, Herr Wegner! Schauen wir nach Ihren Worten an, was Sie an Taten folgen lassen wollen. Die Bilanz der Silvesternacht: 145 Festnahmen, 750 Brände. Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst am Limit. Die erste Forderung, die Ihnen dabei einfällt, sind flächendeckende Dash- und Bodycams.

Hätten Sie mir mal zugehört, wüssten Sie es selbst: Die Bodycam ist kein magischer Schutzschild. Die deeskalative Wirkung ist umstritten. Untersuchungen aus NRW, Thüringen und Sachsen-Anhalt zeigen sogar gegenteilige Effekte, insbesondere, wenn Menschen ohnehin aggressiv, betrunken oder berauscht unterwegs sind; Begriffe, die man übrigens genauso als Synonyme für die Silvesternacht verwenden kann.

Wissenschaftliche Evaluation statt Aktionismus, das ist und bleibt der richtige Weg.
Als Nächstes wollen Sie ein beschleunigtes Verfahren bei öffentlichkeitswirksamen Angriffen auf Einsatzkräfte. Sie
wollen also ernsthaft Strafverfahren nach der öffentlichen Debatte richten.
Damit verabschieden Sie sich wieder einmal von allen Rechtsgrundsätzen. Das Recht beurteilt die Tat und nicht
den TikTok-Fame. Mit Ihren absurden Forderungen stellen Sie schlicht Polizei und Staatsanwaltschaft vor unlösbare Aufgaben.

Zu guter Letzt fordern Sie dann noch eine Bundesratsinitiative zur Erhöhung der Mindestfreiheitsstrafe bei Angriffen auf Einsatzkräfte.
Seit der letzten Strafrechtsverschärfung 2017 – das sollten Sie wissen – sind die Angriffe auf Rettungskräfte jedoch nicht zurückgegangen, ganz im Gegenteil. Auch Kriminologen stellen fest, dass gerade bei jugendlichen Straftätern die Verschärfung des Strafrechts eher kontraproduktiv wirkt.

Sie ignorieren auch, dass schwere Angriffe auf Rettungskräfte bereits heute mit einem Strafmaß von bis zu fünf Jahren möglich sind. Überlassen Sie die Strafverfolgung bitte den Profis von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten, liebe CDU! Die machen nämlich, im Gegensatz zu Ihnen, einen guten Job für die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner.

Wenn alle so sachlich unterwegs gewesen wären, wie die Berliner Polizei in den letzten Tagen, hätte das der Debatte gut getan.
Wozu Sie in Ihrem Antrag übrigens kein Wort verlieren, ist Prävention.

Als Folge der Silvesternacht wollen Sie Millionen Euro für Bodycams ausgeben, aber keinen einzigen Euro für
soziale Strukturen.
Dabei wäre genau das dringend notwendig. Wir müssen in die Quartiere, wo Armut, Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit dazu führen, dass der Frust an Silvester mal so richtig rausgelassen werden kann, das übrigens nicht nur zum Leidwesen der Rettungskräfte, sondern genauso zu dem der Nachbarinnen und Nachbarn und der Gewerbetreibenden vor Ort.
Wer, wie Sie, nur die Antwort hat, mit dem Finger auf Integrationsverweigerer zu zeigen, der verkennt eben, dass Integration keine Einbahnstraße ist. Vielleicht überlegen Sie sich einmal, ob Ihre Vorverurteilungen und rassistischen Ressentiments dazu beitragen, dass Menschen sich hier nicht integrieren wollen. Wer das Problem in Herkunft und Hautfarbe sucht, der findet einfache und bequeme Antworten, doch diese Antworten sind nicht Teil der Lösung, sie sind Teil des Problems.
Es braucht jetzt ein finanziell unterlegtes Jugendstärkungspaket, die Stärkung der bezirklichen Präventionsräte und der Landeskommission gegen Gewalt. Das sind Investitionen in die Zukunft der Jugendlichen in dieser Stadt.

Neben diesem Schwerpunkt ist Repression dennoch ein Teil der Antwort. Doch die Strafen verhängen nicht wir hier. Dafür gibt es die Justiz. Dafür gibt es übrigens auch das Jugendstrafrecht. Aber wenn Sie, liebe Freundinnen und Freunde der Freiheit, sich einmal hier ehrlich machen würden, dann braucht es auch ein Ende der rücksichtslosen Böllerei und der langen Schlangen vor den Waffenläden.
Die Geister des alten Jahres lassen sich genauso gut mit lokal und professionell organisierten Feuerwerken vertreiben, damit alle Berlinerinnen und Berliner sicher und gesund ins neue Jahr kommen können. – Vielen Dank!