Plenarprotokoll 19/16
22. September 2022
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Heute reden wir mal wieder über die Bodycam. Diese ist spürbar ein innenpolitisches Evergreen, auch mit Blick auf den Polizeieinsatz in Lichtenberg vor zwei Wochen. Ein Videomittschnitt sorgte nicht nur in Berlin für Unverständnis und Empörung. Es ist zu sehen, wie ein Polizist eine syrische Familie zutiefst rassistisch angeht. Der gesamte Einsatz ist höchst fragwürdig und unprofessionell abgelaufen. Hätte die Betroffene nicht selbst mitgefilmt, wir würden darüber wohl kaum öffentlich diskutieren. Richtig war, dass sich sowohl Staatssekretär Akmann als auch Polizeipräsidentin Slowik von diesem Verhalten klar distanziert haben. Richtig ist auch, dass nun alle rechtlichen Schritte in Gang gesetzt werden. Für falsch halte ich es jedoch, wenn man diesen Einsatz, der eine Familie aufs Tiefste traumatisiert hat, politisch dazu nutzen möchte, die Forderung nach dem flächendeckenden Einsatz von Bodycams wieder herauszuholen – erst recht nicht, wenn es die gleichen Akteure sind, die das Filmen von Einsätzen durch Privatpersonen unterbinden oder gar strafrechtlich verfolgen wollen. Das ist dann nichts anderes als politischer Aktionismus auf dem Rücken von Betroffenen.
Grundsätzlich gilt: Der Einsatz der Bodycam ist zunächst ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung von direkt Betroffenen und indirekt Beteiligten. Andererseits kann durch die Aufnahmen einer Bodycam gerade bei unterschiedlichen Aussagen Klarheit über den Sachverhalt herbeigeführt werden. Das Grundgesetz verpflichtet uns also, eine sachgerechte Abwägung durchzuführen. Das heißt aber auch: Positive Erfahrungsberichte der Polizei alleine reichen nicht aus. Wir müssen uns vielmehr fragen: Was wird wann gefilmt? Welche Daten werden erhoben? Wer hat wann Zugriff? Was passiert, wenn weitere Grundrechte, wie die Unverletzlichkeit der Wohnung, betroffen sind? Ist die Nutzung des Materials effektiv, praktikabel und vor allem rechtssicher? Nicht zuletzt stellt sich auch hier die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, und das in jeder Situation des Polizeialltags. Um diese Fragen zu klären, haben wir eine Evaluation gesetzlich festgeschrieben. Bisher sind bei Polizei und Feuerwehr 30 Bodycams im Einsatz, bald werden es 300 mehr sein. Das ist eine gute Grundlage für eine wissenschaftliche Evaluation, die wir mit dieser Gesetzesänderung rechtssicher und bis April 2025 ermöglichen. Nun höre ich aber auch schon die Opposition rufen: Wir haben doch schon die Berichte aus anderen Bundesländern. Die sind alle positiv. Wozu brauchen wir das denn noch? – Das kann ich Ihnen gerne sagen: Wenn man tatsächlich in die anderen Bundesländer schaut, ergibt sich nämlich ein differenziertes Bild. Es gibt teilweise positives Feedback – das streite ich gar nicht ab –, aber eben nicht nur. In NRW kommen die Forscherinnen und Forscher zu dem Ergebnis, dass sich die Akzeptanz der Bodycam innerhalb der Polizei im Lauf der Zeit verringert hat. Die CDU trägt sicher auch hier gleich wieder selbstsicher vor, dass die Bodycam wie ein magischer Schutzschild die Gewaltbereitschaft gegen Polizistinnen und Polizisten senkt. Schauen wir auch hier auf die Ergebnisse der Untersuchungen in NRW, Thüringen oder Sachsen-Anhalt. Da sprechen die Statistiken eine andere Sprache.
Noch wichtiger ist mir die Frage, ob die Bodycam auch den Betroffenen hilft. Wenn man manchen Leuten in den letzten Tagen zugehört hat, dann entsteht der Eindruck, dass ein Polizist, der eine Bodycam trägt, sich gar nicht mehr falsch verhalten kann. Schauen wir nach Dortmund: Dort wurde der 16-jährige Mohammed von einem Polizisten erschossen. Zunächst sprach die Polizei von Notwehr. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Totschlags. Zwölf Polizisten waren vor Ort. Alle waren mit Bodycams ausgestattet. Die Bodycams waren aus. Anfang Mai gab es einen Polizeieinsatz in Mannheim mit tödlichen Folgen für den Betroffenen. Die Beamten trugen Bodycams. Die Bodycams waren aus. Die Bodycam führt also nicht automatisch zu rechtssicheren Beweismitteln, zu Transparenz oder gar zur Vermeidung von Fehlverhalten. Das sollte uns klarmachen: Die Bodycam ist kein Allheilmittel. Ein echter Mehrwert ist erst gegeben, wenn der Einsatz nicht nur der Polizei, sondern vor allem auch den Betroffenen nützt. Ich bin gerne bereit, hier in diesem Haus mit Ihnen diesen nnenpolitischen Evergreen ein ums andere Mal hier oder im Innenausschuss zu diskutieren. Dennoch halte ich es für richtig, dass wir nun den Weg der Evaluation beschreiten, Erfahrungen und Erkenntnisse für Berlin sammeln, ideologiefrei untersuchen und anschließend ergebnisoffen beraten. – Vielen Dank!