Plenarprotokoll 19/40
- Dezember 2023
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Was zeichnet ein gutes Polizeigesetz aus? Ist es die Masse an polizeilichen Befugnissen, ist es die Tiefe der Grundrechtseingriffe oder ist es einfach schon gut genug, wenn man nur möglichst knapp an der Verfassungswidrigkeit vorbeischrammt? Selbst das lässt sich bei diesem Berliner Polizeigesetz dieser Koalition mit Sicherheit nicht ausschließen. Staatssekretär Hochgrebe, wohlgemerkt Sozialdemokrat, antwortet auf unsere 85 Fragen nach der Sachverständigenanhörung, dass, ich zitiere, die Forderung einer grundrechtsschonenden Ausgestaltung polizeilicher Befugnisnormen vielfach nicht zu Ende gedacht sei. – Meine Güte! Bevor man zu Ende denkt, sollte man vielleicht erst mal anfangen zu denken. Wer Grundrechte mehr als Feind denn als Freund sieht, der sollte sich wirklich dringend Gedanken über das eigene Sicherheitsverständnis machen!
Polizeirecht ist Gefahrenabwehrrecht. Sie hätten in den letzten Wochen genug Gelegenheit gehabt, um zumindest
an einer Stelle belegen zu können, wo es denn nachweisbar und messbar einen Mehrwert für die Gefahrenabwehr
gibt. Das haben Sie aber nicht. Aber gut, Herr Dregger ist ja auch in der Christlich Demokratischen Union. Da ist egal, was man weiß, solange man nur fest genug daran glaubt. Damit lässt sich natürlich auch jede Kritik wegbügeln, lieber Herr Kollege!
Sicherheit sollte keine Glaubensfrage sein, sondern ausgerichtet an wissenschaftlichen Erkenntnissen, messbarer Wirksamkeit und effektivem Grundrechtsschutz, und all das findet sich in Ihrem Gesetzesentwurf leider nicht
wieder. Egal, ob Bodycams, Taser oder Präventivgewahrsam: Wissenschaftliche Erkenntnisse nehmen Sie ja selbst dann nicht ernst, wenn man Ihnen die Quelle direkt vor die Nase legt.
Als wir damals unter Rot-Rot-Grün die Bodycam eingeführt haben, haben wir eine Evaluation gesetzlich festgeschrieben. Die läuft, die ist auch nächstes Jahr fertig, aber Sie warten nicht mal ab und reden stattdessen weiter in
felsenfester Überzeugung von deeskalierenden Effekten. Die Studienlage wird ignoriert, genauso wie die potenzielle Eskalationsgefahr gegenüber Polizistinnen und Polizisten, zumindest in bestimmten Situationen.
Wie die Bodycam nun als gefahrenabwehrrechtliches Instrument, lieber Herr Dregger, häusliche Gewalt verhindert, wie der verfassungsrechtliche Kernbereichsschutz nicht erst im Nachgang gewährleistet werden soll, oder warum eine Amtstierärztin eine Kamera braucht, oder was eigentlich passiert, wenn die Bodycam zwar an der Uniform dran ist, aber aus ist, wenn sie eigentlich an sein sollte, auf all diese Fragen haben Sie uns keine Antworten gegeben. Im besten Falle: Gut gemeint, aber
ziemlich schlecht gemacht. Das Prinzip Hoffnung leitet die Koalition übrigens auch beim Taser. Viele Polizistinnen und Polizisten sind Fansdavon. Es gibt auch Situationen, in denen der Einsatz sicherlich hilfreich ist. Das streite ich auch nicht ab, aber
Sie nehmen gerade mit diesem Gesetzesentwurf viele Kollateralschäden in Kauf.
Was ist denn nun mit Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen? Was ist mit Kindern oder Schwangeren oder Menschen unter Drogen- und Alkoholeinfluss? Sie stellen den Taser ja eben nicht auf eine Stufe mit der Schusswaffe, sondern auf eine Ebene mit dem Schlagstock, und wer darf es dann neben den Betroffenen ausbaden? – Das sind die Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, wenn sie zur falschen Waffe greifen. Die Risiken blenden sie schlicht aus, und das hat sicher nichts mit
Rückendeckung zu tun.
Im schlimmsten Falle also haben wir mehr Verletzte durch Polizeieinsätze. Halleluja! Mich freut das nicht! Zu guter Letzt bekommt die CDU auch noch ein Weihnachtsgeschenk mit der Ausweitung der Präventivhaft. Eine Regelung, die zur Terrorismusbekämpfung eingeführt wurde, wird nun zum Allheilmittel in der Gefahrenabwehr. Gemäß dem Wunsch: Wir stecken jeden hinter Gitter, bevor überhaupt eine Straftat und Ordnungswidrigkeit begangen wurde. Aber ehrlich: Das erinnert mich eher an „Minority Report“ als an demokratische Rechtsstaatlichkeit.
Zum Glück haben und werden das die Gerichte nicht mitmachen, aber es ist schon bezeichnend, dass Sie nicht
einmal valide Fälle vorlegen können, für welche diese Ausweitung tatsächlich notwendig wäre.
Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist Ihnen schlicht egal.
Liebe Koalition, wenn Ihnen auf die Probleme in dieser Stadt, von denen es ja reichlich gibt, nichts Besseres
einfällt, als alles einzusperren oder einzuzäunen, dann ist das schon ein Armutszeugnis. Kurzum: Das ist heute kein
guter Tag für die Bürgerinnen- und Bürgerrechte. –
Vielen Dank!