Rede gegen Verschärfung des Polizeigesetzes (ASOG)

Plenarprotokoll 19/37

Sehr geehrter Herr Präsident! Entschuldigung! – Sehr geehrte Damen und Herren!

Gut gemeint ist bekanntlich nicht gleich gut gemacht. Das Problem, lieber Herr Dregger, ist: Ihr Antrag ist keines davon. Sie begründen den Gesetzentwurf mit eilbedürftigem Handlungsbedarf. Ich kann Ihnen sagen, was wirklich eilbedürftig wäre: 164 Millionen Euro beträgt der Sanierungsstau allein in
der Priorität 1 bei der Polizei, 164 Millionen Euro allein zur Sicherung der Vermietbarkeit. Das ist die relevanteste Hausnummer, aber dafür haben Sie im Haushalt keinen Cent eingestellt, ein geschicktes Ablenkungsmanöver also. Wenn Sie mir hier ernsthaft erzählen wollen, dass die Ausweitung des Präventivgewahrsams, flächendeckender Tasereinsatz und Bodycams eilbedürftig sind,
wenn Sie damit Millionenausgaben rechtfertigen, wie eilbedürftig sind denn dann für Sie die Liegenschaften der Polizei? Sie sollten wissen: Videokameras und Taser helfen nicht, wenn der Putz von der Decke fällt.


Kommen wir zu dem, was Sie vorhaben. Fangen wir an mit dem Präventivgewahrsam: Da wird uns Herr Matz gleich als großen Verhandlungserfolg für den Rechtsstaat präsentieren, dass die Dauer des Präventivgewahrsams nur bei vermuteten schweren Straftaten erhöht wurde. Ja, das ist gut, liebe SPD. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sie die Voraussetzungen für die Präventivhaft absenken wollen, und das ohne Not. Die neue Rechtsgrundlage ermöglicht Festnahmen bereits dann, wenn jemand Sekundenkleber oder den falschen Flyer für eine Demo mit sich führt. Das klingt für mich eher nach einer Generalklausel für jede Regierung, die politischen Protest nicht ertragen kann oder will.

Wer meint, das Polizeirecht zu einem Ersatzstrafrecht umgestalten zu müssen, der höhlt den Rechtsstaat aus, und das machen Sie an dieser Stelle, liebe Kollegen von Schwarz-Rot.
Kommen wir zum Taser. Elektroschusspistolen sind Waffen, die in die Hände von Spezialkräften gehören. Deren Einsatzrisiko blenden Sie völlig aus. Sie sprechen die ganze Zeit davon, Schusswaffeneinsätze zu reduzieren. Damit blähen Sie ein Problem auf, das wir gar nicht haben. Im Jahr 2022 kam es bei rund 700 000 Einsätzen gerade mal in fünf Fällen zum Schusswaffeneinsatz gegen Personen. Aber Sie wollen ja mehr. Das sagt zumindest ihr Gesetzentwurf schwarz auf weiß. Sie wollen den Taser nicht alternativ zur Schusswaffe, sondern als beliebiges Einsatzmittel unter vielen. Mehr Taser, mehr Einsätze, mehr Verletzte – dafür schaffen Sie hier die Grundlage.
Dazu kommen jede Menge Rechtsunsicherheiten für die Polizei. Erstens: der Taser als das mildere Mittel zum Schlagstock – aber nur dann, wenn ein erheblicher Gesundheitsschaden durch den Schlagstock zu verhindern wäre. Wo ist denn da genau die Grenze? Wer entscheidet das gerade in dynamischen Situationen? Das bleibt unbeantwortet.
Zweitens: kein Tasereinsatz bei drohenden gesundheitlichen Risiken – wortwörtlich, ich zitiere –, wenn dem äußeren Anschein nach vorhandene Vorerkrankungen des Herz-Kreislaufsystems zu erkennen sind. Darf ich Sie fragen, woran Sie denn Menschen mit Herz-Kreislauferkrankungen erkennen. Ich kann das zumindest nicht und die Polizei genauso wenig. Ich glaube, niemand kann das mit bloßem Auge. Aber trotzdem wollen Sie Polizistinnen und Polizisten mit dieser Regelung auf die
Straße schicken.
Drittens: Sie wollen Suizide verhindern. Das klingt eindeutig, ist das aber nicht. Denn auch Ihr Gesetzentwurf formuliert zwingende Ausnahmen. Die Polizei soll Suizide mit dem Taser nämlich nur dann verhindern können, wenn nicht erkennbar ist, dass sich jemand leider aus freien Stücken das Leben nimmt. Viel Erfolg aber beim Erkennen! Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Diese Regelung ist eine Blackbox. Die Polizistinnen und Polizisten, die wegen all dieser Rechtsunsicherheiten Disziplinar- und Strafverfahren an der Backe haben werden, werden es Ihnen danken. Bei Ihren Gesetzen hilft auch keine Rückendeckung, liebe
Koalition.
Kommen wir zur Bodycam. Man kann über die Bodycam bei der Polizei streiten. Für uns Grüne ist klar, dass die Bodycam sinnvoll ist, wenn sie Polizei und Betroffenen gleichermaßen nützt, also auf Deutsch, wenn sie nicht aus ist, wenn sie an sein sollte. Von Ihnen höre ich aber immer wieder nur ein Mantra: Sie sorgt für Deeskalation. Dass das bisher wissenschaftlich schlicht nicht erwiesen ist, ignorieren Sie gekonnt. Dafür soll ihr Einsatz in Berlin explizit wissenschaftlich evaluiert werden, aber nicht, wie es Sinn machen würde, bevor Sie diese flächendeckend ausrollen, sondern danach. Da hat sich die Koalition gedacht: Wer braucht schon die Wissenschaft, wenn man das richtige Bauchgefühl hat? Sie werden sehen, die Bodycam ist kein magischer Schutzschild, auch nicht in anderen Bundesländern, in denen sie schon jetzt Standard ist. Statt einer ernsthaften Diskussion schmeißen Sie die Bodycams für Feuerwehr, Rettungsdienst und sogar für das Ordnungsamt nur so um sich. Ganz ehrlich, Sie
schießen damit über das Ziel hinaus. Wenn der Rettungsdienst jetzt großflächig mit Bodycams unterwegs ist, sollten wir uns ernsthaft über die Rechte von Patientinnen und Patienten Gedanken machen. Wenn ich einen Unfall habe, ist eine blinkende Kamera nicht das erste, das ich sehen möchte. Und ich möchte, dass sich die Retter um mich kümmern und nicht darum, ob gerade die Kamera läuft oder nicht. Und auch Ihre Forderungen für das Ordnungsamt werden dort kaum Abhilfe schaffen, wenn
zukünftig jede Amtstierärztin und jeder Lebensmittelkontrolleur als mobiler Videoüberwachungsmast herumrennt. Jetzt mal ernsthaft: Jeder Mitarbeiter im Bürgeramt, jede Bearbeiterin im Jobcenter und im Sozialamt ist genauso großen Risiken ausgesetzt. Wo soll das am Ende hinführen? Kriegen wir jetzt alle eine Bodycam, und fühlen wir uns dann sicher? Für mich ist das zumindest nicht der Inbegriff von Sicherheit.
Mein Kollege Lenz wirft uns immer wieder im Innenausschuss totale Überwachungsfantasien vor, wenn wir mehr Blitzer fordern, damit das Recht auch auf Berlins Straßen gilt. Gleichzeitig gibt es hier großen Applaus dafür, dass künftig das Filmen in Privatwohnungen für die Polizei kein Hindernis mehr sein wird. Es fällt Ihnen vielleicht schwer zu verstehen, aber mehr Überwachung heißt nicht gleich mehr Sicherheit.

Liebe Koalition! Dieser Gesetzentwurf ist tatsächlich beeindruckend, nicht etwa, weil er besonders eilbedürftig wäre, sondern weil er mehr Probleme schafft, als er lösen kann. Sie fordern mehr Sicherheit, aber Sie liefern eine Aushöhlung von Grundrechten. Die einzige Evidenz, die Sie haben, ist Ihr Bauchgefühl. Herr Wegner sagt immer „einfach machen“. Mit Blick auf diese ASOG-Novelle muss man sagen: Lieber nicht! Noch ist die Chance dazu, und ganz ehrlich, gerade als Innenpolitiker haben wir gerade Wichtigeres zu tun. – Vielen Dank!